Ich kann es ja nicht leugnen, ich halte die Grundidee der Bewahrung der Bürgerrechte im digitalen Zeitalter für wesentlich und damit generell eine Partei, die dies vertritt für wichtig. Und ursprünglich war ja die Piratenpartei einmal mit diesen Anspruch auch angetreten. Nachdem Hype der letzten Monate rund um die Piraten kam eine gewisse Ernüchterung und nun der Anspruch es auf dem Bochumer Parteitag mit den Inhalten zu richten. Und unter den wenigen Ergebnissen des ersten Tages gibt es auch einen Teil zu Wissenschaft und Forschung, den ich einmal näher beleuchten will:
Da wäre als erstes der PA585 (http://wiki.piratenpartei.de/Antrag:Bundesparteitag_2012.2/Antragsportal/PA585). Der erste Abschnitt ist überschrieben mit Wissenschaft als Grundlage der gesellschaftlichen Entwicklung und enthält allgemeines BlaBla, mit dem man erst mal nichts falsch machen kann, der aber auch nichts Neues enthält. Denn schließlich haben wir in Deutschland mit den Universitäten, Max-Plank-, Helmholtz- und Frauenhofergesellschaft eine diversifizierte Forschungslandschaft.
Der nächste Absatz lautet: Ethische Neutralität und Ideologiefreiheit der Wissenschaft. Damit geht die Piratenpartei auf Glatteis. So folgt dazu als erste Aussage: Wissenschaftliche Erkenntnisse an sich unterliegen keiner ethischen Bewertung, eine Beeinflussung der wissenschaftlichen Entwicklung insbesondere in Form von Einschränkungen und Verboten aus politischen, religiösen oder sonstigen ideologischen Gründen ist deshalb abzulehnen. Das zeugt von Naivität und Unkenntnis wissenschaftlicher Prozesse. Sicher ist eine Erkenntnis an sich unbeschränkt, aber nur dann wenn sie sich wie eine Art Marienerscheinung einfach so manifestieren würde. In Wirklichkeit unterliegt die wissenschaftliche Erkenntnis den ethischen und weltanschaulichen Ansichten der Wissenschaftler, die diese Erkenntnis gewinnen. Dabei ist es durchaus möglich, das Wissenschaftler dabei weiter gehen, als ihre Ansichten es zulassen würden. Das hängt aber von der konkreten Person ab und von der konkreten Erkenntnis. Weiterhin gibt es ja vielfach wissenschaftliche Erkenntisse, die dem Bereich der angewandten Forschung entstammen und im nächsten Satz schreiben die Piraten: Konkrete Verfahrensweisen sowie praktische Anwendungen neu gewonnener Erkenntnisse müssen hingegen auf deren Vereinbarkeit mit ethischen und gesellschaftlichen Normen überprüft und bei Notwendigkeit eingeschränkt werden. Die Folge ist, das sich die Aussagen aus Satz eins und zwei widersprechen. Abgesehen davon wurden Einschränkungen schon immer von Wissenschaftlern ignoriert, wäre dies nicht so, wäre die Erde heute noch eine Scheibe und anatomische Erkenntnisse nicht vorhanden. Fazit: Erkenntnisse wurden bisher immer angewandt, egal ob verboten oder nicht. Und jede Erkenntnis die sich mißbrauchen ließ, wurde bisher auch mißbraucht. Und solange Konkurenz und Wettbewerb die Gesellschaft prägen, wird sich das auch nicht ändern.
Nächster Abschnitt: Wissenschaftlichkeit, Nachvollziehbarkeit und Transparenz der Forschung
Das scheint offensichtlich der Pflichtabsatz zur Transparenz zu sein. Wer sich in der Wissenschaftslandschaft auskennt, dem ist es geläufig, das Ergebnisse in einem Peer Review System nur dann publiziert werden, wenn die Reviewer diese nachvollziehen können. Ausnahmen bestätigen die Tatsache, das Wissenschaftler auch nur Menschen sind.
Allein am Beispiel des LHC am CERN sollte aber auch klar sein, das es in vielen Fällen um einen Erkenntnissprozess handelt, den einzelne Personen gar nicht mehr nachvollziehen können. Da stößt Transparenz einfach mal an seine menschlichen Grenzen und man muß sich auf gute wissenschaftliche Praxis verlassen.
Und genauso ist es gute Praxis sich in Publikationen bei den Geldgebern zu bedanken.Insofern ist die Forderung der Piraten eigentlich schon erfüllt.
Andererseits gibt es natürlich auch Forschungskooperationen zum Beispiel mit Unternehmen, die aus wirtschaftlichen Gründen einer Verschwiegenheitsklausel unterliegen. Und da zum Beispiel sowohl Universitäten als auch verschiedene Forschungseinrichtungen auf Industriekooperationen angewiesen sind, wäre ein Verbot solcher Klauseln das Aus für viele Wissenschaftler und in Folge dessen auch ein erheblicher Standortnachteil für Deutschland.
Fazit piratischer Transparenzwahn mag zwar die Annahmewahrscheinlichkeit bei Anträgen erhöhen, in der Wissenschaft ist er völlig fehl am Platz. Schon weil er technisch oft nicht umsetzbar ist.
Und nun der letzte Absatz „Offener Zugang zu wissenschaftlichen Ergebnissen“
Der Absatz ist wie auch der einleitende Absatz recht unkonkret gehalten. Grundsätzlich kann Jeder eine Universität aufsuchen und dort auf die Bibliothek zugreifen. Und damit hat er auch Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen aus aller Welt, so diese frei zugänglich oder im Rahmen von Lizenzen an der jeweiligen Universität verfügbar sind. Das ist sicher eine enorme Baustelle, denn die Wissenschaftsverlage wie Elsevier verlangen teilweise horrende Summen für Abo’s und Zugänge. Aber wie das Problem zu lösen ist, dazu schweigt sich dann das Programm wieder aus und bleibt leider sehr unkonkret (OpenAcess ist leider eher eine langfristige Lösung).
Mein Fazit: Das hier von den Piraten beschlossene Programm zu Wissenschaft und Forschung ist entweder sehr allgemein und damit nichtssagend und geht andererseits häufig an der Realität des Forschungsbetriebes vorbei. Ob aus Idealismus oder einfach nur Unkenntnis sei einfach mal dahin gestellt.